Phoebe Giannisi

“Poetry is a response to stimuli, which touch, permeate and agitate the body.

In her writings, Phoebe Giannisi asks about the meeting point between poetry and the natural world, she explains that “the so called ‘natural’ world is [her] window to poetry”, that “the bodily senses are mediated by their expressiveness through constructed language, which means poetry or philosophy, the first ax that dug this world.

I am referring to the simplest stimuli, the contact with other beings, with the earth and the place, with the everyday, with life, with memory, with others’ poetry, with what comes from the outside, triggering emotion. Inspiration is a kind of inhalation of the other, that is returned to the outside by a construction made with feeling and thinking. Every part and every species that compose the Chimera has its own autonomy, yet all function evenly as a network.

As I grow up, I have come to realize that for me poetry, writing and vocalization constitute also a form of therapy. As Eleni Stecopoulos aptly puts it in her book Visceral Poetics, poetry is a kind of healing practice, it has to do with illness, it is visceral, sympathetic, it is a form of care in order to be. For me, the practice of handwriting as well as writing itself is such an activity, just like oral recitation is a ritual of healing. More and more consciously, as I practice poetry, I invent a ritual that makes me forget. The cicada that metabolizes the juice is such a vain momentary effort that heals pain without curing.

The dense minimal poems of Giannisi explore with arresting directness the relationship between language and the elements of the natural world with a language which is always subtle and inornate, skillfully bare,” as Haris Vlavianos aptly put it. What is the relationship between art and the urban landscape? Where does poetry meet the natural world in your writings?

Already from my early writings, one could easily discern a quest to utter the experience of a relationship, either enthusiastic or mournful, to the natural element. Is it a kind of return to the archaic? Is this a kind of celebration to beauty? Or is it rather a kind of grief, a desperate attempt to bring the being out of oblivion?

This “archaism” should not be dissociated from language and representation. The so-called ‘natural’ world (along with the questions this term poses in the 21st century in relation to the construction of the natural as part of the cultural) is my window to poetry. But the bodily senses are mediated by their expressiveness through constructed language, which means poetry or philosophy, the first ax that dug this world.

Svenbro writes about the first samples of writings, the inscriptions put in verse on ancient Greek statues, where the first person was used to refer to the object bearing the inscription: “Mr. Brugmann accepts the hypothesis that the Greek ‘ego’ is descended from an Indo-European noun, eg(h)om, meaning Hierheit, “hereness”.” (p. 73, Phrasikleia). I consider this etymology of the ‘I”, “ego”, as related to locality, to “hereness”, a very appealing interpretation, so suitable that it looks fake, for my work. If the “I” is nothing less than a ‘here’, then the voice in poetry expresses nothing but this ‘here’, yet through the multiplicity of subjects, those Others, that dwell ‘here’ at that very moment. Place and language together, language as a place.

If science answers a question that has been formulated, then art responds to questions that never arose, to a kind of a call. In poetry, this is the call of the Other. In the urban landscape, the Other, different but also similar, is related to the human and the social. The urban space renders the human multiplicity; an immense and living complex environment, with its own built typology, its patterns of repetition and ritual, its singular events. Urban space offers the vital perspective of meeting different subjectivities, carrying a polyphony of their own myths and voices.. That’s why situationalists reflect on the city as the primary place for the theater of life, where everyone can playfully participate. City wandering and oral dealings with people enrich experience in the most surprising and joyful way; they also reveal human pain, social inequalities and struggles. Last but not least, the urban space is also the area of publication, where the poet returns to the public what may have been created somewhere in the loneliness, outside.

Phoebe Giannisi is part of the panel „Mythen als performativer Akt“ (18.10), together with Dagny Gioulami (CH), Dirk Uwe Hansen (DE) and Jochen Schmidt (DE).

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Adrian Kasnitz

Interview mit Adrian Kasnitz in der freitag. Er ist Mitherausgeber des Lyrikbands „Kleine Tiere zum Schlachten – Neue Gedichte aus Griechenland“ und am 20.10. Teil des Panels „Brückenbauer“, gemeinsam mit Jorgos Kartakis (GR), Jan Kuhlbrodt (DE) und Elena Pallantza (DE/GR).

[…] Viel wichtiger ist, dass in Griechenland ein ästhetischer Aufbruch in verschiedenen künstlerischen Sparten zu spüren ist. Am deutlichsten ist dies im griechischen Film – man denke an Filme wie Dogtooth von Giorgos Lanthimos oder Attenberg von Athina Tsangari. Da gibt es plötzlich eine neue Generation, die griechisches Kino auf einem internationalen Niveau macht. In der Poesie ist das vielleicht vergleichbar. Da hat sich eine Generation entwickelt, die nicht nur an der griechischen Tradition hängt. Klar, die Einflüsse der Tradition sind da – es gibt die antike Tradition sowie viele griechische Nobelpreisträger. Doch diese neue Generation setzt sich viel stärker mit Texten auseinander, mit denen wir uns auch hier beschäftigen. Das hat vielleicht mit Krise zu tun, in dem Sinn, dass das Alte aufbricht und neue Freiräume besetzt werden können. Aber ich sehe es viel positiver, ich glaube, dass die Öffnung zum einen mit der größeren Rezeption von Übersetzungen internationaler Literatur in Griechenland zusammenhängt und zum anderen mit der Intensivierung internationaler Vernetzung der Dichterszene.

Die Texte im besagten Band sind politisch, feministisch, zeugen aber auch von Energie und ästhetischem Aufbruch.

[…] Wir haben da versucht zu mischen, um nicht so ein düsteres Buch zu machen. Teilweise haben wir sehr politische Texte in der Anthologie, wie zum Beispiel von Jazra Khaleed oder Lenia Safiropoulou, die sich explizit mit der Flüchtlingsthematik auseinandersetzen. Dann haben wir auch poetische Texte ausgesucht, wie zum Beispiel das Gedicht Wolken von Phoebe Giannisi. Man kann vieles auch feministisch lesen. Wir haben viele weibliche Autoren reingenommen, die feministische Ansätze haben und sich mit Macht und Gewalt in Alltagsbeziehungen beschäftigen. Das Abtreibungsgedicht von Pavlina Marvin ist so ein Beispiel. Aber der Band fängt mit Die Füchsin von Katerina Iliopoulou an, das als eine Art Liebesgedicht einer Frau gelesen werden kann.

Der Titel „Kleine Tiere zum Schlachten“ stammt von einem Gedicht von Orfeas Apergis. Wieso dieser Titel?
Die dystopische Stimmung des Buches hat mich dazu verleitet. Ich denke da auch an das Coverbild der Anthologie: diese endlose Athener Betonwüste, in der die Menschen wie Miniaturen erscheinen. Sie sind kleine Tiere, deren Schicksale von wenigen Mächtigen entschieden werden. Kleine Tiere, die gemolken oder geschlachtet werden können. In dem Gedicht von Orfeas Apergis ist davon die Rede, dass ein Opfer gebracht werden muss. So wie die einfachen kleinen Leute, die gerade die Leidtragenden in dieser Krise sind, geopfert werden.

Dagny Gioulami

Ihren ersten Text schrieb Dagny Gioulami in der Bibliothek der Schule für Gestaltung in Zürich.


Die Schule für Gestaltung befand sich damals in meiner Nachbarschaft, in einem sehr eleganten Gebäude aus den Dreissigern, über dem Museum für Gestaltung. Seit einigen Jahren ist die Schule für Gestaltung Teil der Zürcher Hochschule der Künste; zusammen mit der früheren Schauspielakademie, dem Konservatorium und anderen Schulen gehört sie zum beeindruckenden Campus im Toni-Areal, einer ehemaligen Molkerei. Dort gibt es natürlich auch eine Bibliothek, die sogar einen Loungebereich hat, wo man auf amöbenförmigen Möbeln sitzen oder liegen und aus riesigen Fenstern über Industriegebiete und Gleislandschaften blicken kann.
Einmal, in einem amerikanischen Kinderbuch, las ich in der Danksagung des Autors ungefähr folgendes:
„I visited Emily Dickinson’s house in Amherst where this story was lowered to me.“
Dem Autor wurde also in einem bestimmten Haus eine Geschichte heruntergelassen. Er befand sich in dem Haus und die Geschichte schwebte von oben auf ihn herab, wie zum Beispiel Blütenblätter. Von wem oder von wo aus die Geschichte heruntergelassen wurde, weiss man nicht, man kennt nur den Ort, an dem sie beim Autor ankam.
In der alten Bibliothek der Schule für Gestaltung, die nicht mehr die Schule für Gestaltung ist, dachte ich oft an diesen Satz, daran, dass hier die Geschichten zu mir heruntergelassen werden. Lag es an der Schönheit der Architektur? Daran, dass ich dort nicht abgelenkt wurde? An den Dreissiger Jahren? An Sophie Täuber, die an der Schule unterrichtet hatte?
Die Bibliothek fehlt mir. Das Schreiben ist ohne sie schwieriger geworden.
Heute Nachmittag habe ich nachgesehen, wozu der Raum jetzt gebraucht wird: als Werkstatt für die Vermittlung der Designsammlung des Museums. In den Regalen stehen Alltagsgegenstände, die man anfassen darf, an den Tischen kann man zum Thema der laufenden Ausstellung selber etwas gestalten. Diesen Monat werden Kraniche aus Papier gefaltet. Ich habe mich erkundigt, ob das Publikum den Raum frei benutzen darf. Ja und nein. Wenn das Schild „Werkstatt offen, bitte eintreten“ an der Tür hängt, darf man eintreten und basteln. Einfach an einem eigenen Text schreiben oder ein eigenes Bastelprojekt mitbringen ist nicht erlaubt.
Unzählige Kraniche hängen an Fäden von der Decke der alten Bibliothek, die jetzt eine Werkstatt ist. Bald werden die Kraniche heruntergelassen oder fliegen weg.
Ich muss einen neuen Raum finden.

Dagny Gioulami ist Teil des Panels „Mythen als performativer Akt“ (18.10.), gemeinsam mit Phoebe Giannisi (GR), Dirk Uwe Hansen (DE) und Jochen Schmidt (DE). Wir freuen uns sehr!

Jorgos Kartakis

„Als Titel würde ich dem Foto folgende Verse Ingeborg Bachmanns geben: Die erste Welle der Nacht schlägt ans Ufer, die zweite erreicht schon dich.“

Das Bild zeigt Jorgos Kartakis lesend am alten venezianischen Hafen seiner Heimatstadt Chania. „Ich mag diesen Ort im Herbst abseits des Touristentrubels.“

Er ist Teil des Panels „Brückenbauer“, 19.10, gemeinsam mit Adrian Kasnitz (DE), Jan Kuhlbrodt (DE) und Elena Pallantza (DE/GR). Wir freuen uns und sind gespannt!

Maria Topali über Katerina Iliopoulou

Maria Topali und Katerina Iliopoulou kennen sich seit Jahren. Heute teilen sie ihre Eindrücke mit uns:

Maria: Katerina Iliopoulou (Athen, 1967) lernte ich 2003 kennen. Sie hatte gerade gemeinsam mit ihrer Schwester Eleni Sylvia Plath ins Griechische übersetzt. Ich hatte ab dem ersten Moment unserer Bekanntschaft den festen Eindruck, eine „Mitreisende“, eine Art „Genossin“ kennengelernt zu haben. Sie gehörte dieser neuen Generation an, die beim ersten Blick den Eindruck verleiht, aus dem Nichts, ohne Vorfahren, entstanden zu sein. Oder sie sucht ihre Vorfahren und Kommunikationspartnern in anderen Sprachen und Traditionen, vor allem im englischsprachigen Raum. Sie ist im Bereich der bildenden Kunst ebenfalls wie in der Literatur zu Hause und kultiviert als Prinzip den Austausch zwischen Lyrik und Art. Ist sie Feministin? Für mich schon: ich habe sie immer auch diesbezüglich als eine Genossin empfunden, nämlich als Frau die im Bewusstsein ihres Geschlechts schreibt. Ist sie Traditionsbrecherin? Zum Teil ja, was Form und Performance angeht. Vor allem aber was eine neue Moral, eine praktizierte Moral im Alltag der griechischen Lyrik angeht. Katerina initiiert und organisiert geschlossene und öffentliche Gruppenarbeit, ob live Performance oder öffentliche Diskussion oder, seit 2013, Veröffentlichung der exzellenten Zeitschrift „Farmako“ [Medikament], das zweimal im Jahr erscheint und die neuen Wege der Lyrik in Griechenland und im Ausland forschend erforscht, stets im Hinblick auf eine Korrespondenz mit der bildenden Kunst und der Film und Video Kunst. Katerina gehört zu den Personen/Faktoren, die die Landschaft der neuen griechischen Lyrik prägend und erneuernd mitbestimmt.

@Panayotis Ioannidis, Lesung von Frauen für Frauen über Frauen im Athener Spanischen Institut Cervandes, 2013

Katerina: Maria Topali habe ich 2003 kennengelernt, als ich gerade meine ersten Texte publizierte. Seitdem hat sich zwischen uns ein lebendiger und fruchtbarer Dialog entwickelt, der die ganze Bandbreite lyrischen Schaffens umfasst: von Fragen moderner Poetik über Literaturkritik bis hin zu Themen des Umgangs mit poetischen Werken. Im Zuge dieses Dialogs hat sich eine ganz poetische Gemeinschaft herausgebildet, die den ideellen Raum unserer Begegnung absteckt. Die fünf von ihr herausgebrachten Lyrikbände zeichnen sich durch den kühnen Einsatz verschiedenster Ausdrucksmittel aus und durch die Thematiken, die sie beschäftigen, wie etwa Geschlecht als persönliche Erfahrung, Identitätssuche, das Verhältnis Privat-Politisch, der Puls der Geschichte im individuellen Körper der Subjekte, aber auch das Schicksal des poetischen Subjekts und die Suche nach der Sprache, welche diese Thematiken unter Berücksichtigung zeitgenössischer Erfahrungen abbilden und widergeben kann. Die intellektuelle Dimension, die diskrete Intertextualität und der schwarze Humor zeichnen ihre Dichtung aus, in der das Lyrische sich des Öfteren zurückzieht und und das narrative Element immer mehr Bedeutung gewinnt. Ihre beiden letzten Bücher sind vielstimmige Werke, die an ein lyrisches Theaterstück oder auch an Musiktheater erinnern und darüber hinaus vertont und auf der Bühne gezeigt wurden. Maria Topali ist eine konsequent arbeitende Literaturkritikerin mit einer umfassenden Anzahl von Veröffentlichungen, die seit 1996 in auflagenstarken Zeitungen, in der Literaturzeitschrift „Poesie“ und im daraus hervorgegangenen Journal „Poetik“ (wo sie auch Redaktionsmitglied ist) erscheinen. Des Öfteren kooperiert sie auch mit der Lyrikzeitschrift „Farmako“. Ihr kritisches Werk bildet das seltene Beispiel einer wichtigen und nachhaltigen Erfassung der zeitgenössischen griechischen Lyrik jüngerer Autorinnen und Autoren. Darüber hinaus kam kürzlich im Verlag Romiosini eine umfassende Anthologie jüngster griechischer Dichtung unter ihrer Herausgeberschaft in deutscher Übersetzung heraus. In den letzten Jahren hat sie sich vermehrt mit kollektiven Projekten beschäftigt, die Fragen wie Mündlichkeit, Körper und Stimme in der zeitgenössischen Dichtung untersuchen.

Am 18.10. ist Katerina Iliopoulou Teil des Panels „Rhytmus, Wort, Musik“, gemeinsam mit Vassilis Amanatidis (GR), Dominique Macri (DE) und Dalibor Markovic (DE). Maria Topali dürfen wir am 19.10. beim Panel „Race-Gender-Class“, gemeinsam mit Gerasimos Bekas (GR/DE), Nina Rapi (GR) und Achim Wieland (DE/CY) begrüßen. Wir freuen uns sehr!

Gerasimos Bekas

 

 

Am liebsten bin ich oben. Egal, ob in Berlin oder Athen, an der Karl-Marx-Straße oder an der Spyrou Merkouri, es sind die Dächer, die mir am besten gefallen.

 
 


Der Blick von oben, die flüchtigen Beobachtungen, das große Ganze im Blick. Von den Dächern Athens und Berlins aus glaube ich manchmal sogar zu verstehen, was da unten vor sich geht. So lange, bis mir wieder einfällt, dass es da nicht viel zu verstehen gibt und ich einfach den Abstand genieße. Die Übersicht. Die Ruhe. Und die Gewissheit, dass ich bald wieder ein Teil vom Trubel unter mir sein kann, um dabei insgeheim zu denken, „ich weiß wie ihr von oben ausseht.“

 
Gerasimos Bekas über seine Lieblingsorte. Wir freuen uns, ihn am 19.10. bei dem Panel „Race-Gender-Class“, gemeinsam mit Nina Rapi (GR), Maria Topali (GR) und Achim Wieland (DE/CY) begrüßen zu dürfen!

Elena Pallantza

Wir haben gefragt, Elena Pallantza hat geantwortet. Am 20.10. ist sie Teil des Panels „Brückenbauer“, gemeinsam mit Jorgos Kartakis (GR), Adrian Kasnitz (DE) und Jan Kuhlbrodt (DE). 

An welchem Projekt arbeitest du gerade?

Oh, an mehreren gleichzeitig. Meine Projekte sind überwiegend Kooperationen und überkreuzen sich meistens. Gerade übersetze ich mit meinem Übersetzerkreis LEXIS einen lyrischen Monolog von Jannis Ritsos ins Deutsche, wie auch den ersten Gedichtband einer jungen griechischen Dichterin, die in Deutschland aufgewachsen ist. Zugleich arbeite ich an einer Anthologie junger deutscher Dichter*innen für einen Athener Verlag und an einem griechischen Filmprojekt zu Hölderlins „Tod des Empedokles“, bei dem ich als Übersetzerin und Dramaturgin involviert bin. Das klingt erstmal ziemlich bunt und zusammengewürfelt, doch in dieser Vielfalt fühle ich mich zu Hause. Sie entspricht meinem Bedürfnis, die Dinge stets von verschiedenen Seiten zu betrachten, sind doch Schreiben und Übersetzen nichts Anderes als eine dauernde Übung im Perspektivenwechsel.

 

Als in Athen Geborene, später aber u.a. wohnhaft in Freiburg, Bonn und Köln interessiert uns: Hat die Stadt, in der du dich befindest, Einfluss auf deine Tätigkeit als Autorin bzw. Übersetzerin?

Ja, jede einzelne und alle zusammen! Raum ist – wie auch die Zeit – eine der Grunddimensionen eines Textes. Er verleiht unserer fragmentarischen Biographie einen Rahmen. Der Rhythmus einer Stadt geht in den Rhythmus des Schreibens über und, umgekehrt, der Schreibende versucht, seinen eigenen subjektiven Rhythmus in den Rhythmus der Stadt einzubetten. Wechseln wir die Orte, verändern sich auch unsere Worte. Oft wurden Texte, die ich in einer Stadt zu schreiben begann, einem massiven Temperaturwechsel ausgesetzt, als ich sie woanders zu Ende schrieb. Aber spätestens seit Kavafis wissen wir, dass die Städte uns folgen. Dann überlappen sich die Bilder der Stadt, die wir in uns tragen, mit denen der Stadt, in der wir leben. Es entstehen Zwischenräume, in die sich, wie Michel de Certeau sagt, eine kreative Vielfältigkeit hineinschleicht. In einem Zwischenraum zu sein, kann zu unvorhersehbaren Ergebnissen führen.

Du übersetzt sowohl vom Griechischen ins Deutsche als auch umgekehrt. Fällt dir eine der beiden Bewegungen leichter?

Ich bin zwar nicht genuin zweisprachig, aber in meinem Kopf spielt sich seit Jahrzehnten ein sprachliches und kulturelles Ping-Pong zwischen Griechenland und Deutschland ab. Der Ausgang jeder Partie bestimmte früher die Richtung, in die ich übersetzte. Inzwischen lebe ich so viele Jahre hier, dass mir das Switchen leichter fällt. Es ist nicht mehr mit Verlustgefühlen belastet, es ist sogar gut für mein Gleichgewicht. Ist die Zielsprache einer Übersetzung Griechisch, meine Muttersprache, fühle ich mich nach wie vor im sicheren Terrain; zumindest bilde ich mir ein, dass ich das Ergebnis selbstständig beurteilen kann. In die andere Richtung suche ich den Austausch mit Muttersprachlern. Die Arbeit mit meinen Studenten im Übersetzerkreis LEXIS ist in dieser Hinsicht eine großartige Erfahrung. Es kommt mir vor, als lernte ich dabei von Anfang an, wie deutsche Wörter nicht nur klingen, sondern auch riechen oder schmecken. Ich erfinde mir sprachlich eine Art deutsche Kindheit, die ich natürlich niemals hatte.

 Das Diskussionspanel, an dem du teilnehmen wirst, heißt „Brückenbauer“. Sprach- und länderübergreifende Kooperationen sollen diskutiert werden. Welche „Brücke“ ist dir in diesem Zusammenhang am wichtigsten?

Ich denke dabei vor allem an alte Bogenbrücken, weil sie von beiden Seiten zugleich gebaut werden. In neue kulturelle Landschaften gesetzt. Ιch denke an transdisziplinäre Kooperationsprojekte über die Grenzen hinweg als Chance für nachhaltige Veränderungen. Ich denke an Kunst und Literatur als Antidot gegen Misstrauen, Trennlinien, Stereotypen, Angst. Und ich denke auch an die Notwendigkeit, gegen zunehmende Europaskepsis den Zusammenhalt in Europa zu stärken und insbesondere dabei an das kulturelle Verhältnis von Deutschland und Griechenland, das geradezu symbolisch dafürsteht, weil die tiefe Verbundenheit zwischen den beiden Ländern in den ältesten Grundlagen der europäischen Identität wurzelt. Doch momentan gibt es eher neue Gräben, und es gilt, Ressourcen zu reaktivieren und neue Konzepte des Miteinanderagierens zu formulieren. Da sind Brückenbauer*innen von beiden Ufern wichtiger denn je.

Wir freuen uns auf spannende SYN_ENERGY-Tage!

Lilly Jäckl

Lilly Jäckl schafft es auf originelle Weise ironisch, ja oft satirisch, „Sprachkritik“ ohne Zweifel zu betreiben. Sie umgeht die Gefahr des reinen, hermetischen Theoretisierens mittels einer hintergründigen Sprachphilosophie und der Methode des ständigen Kippens zwischen Realität und Traumwelt. Ihre Weltsicht ist geprägt von einer tiefen Skepsis gegenüber allem, was vordergründig ist und verführerisch einfach erscheint. Sie weiß um die Komplexität der Welt, wo es keine einfachen Ja- und Nein-Antworten gibt.

sie bewegt,
die dekadenz der reichen, westlichen gesellschaft
die unsichtbarkeit der psychologischen beeinflussung des kollektiven unbewussten
durch multinationale konzerne
die folge dieser beeinflussung und deren konsequenzen

müsste sie sich für ein Wort aus ihrer Rubrik „Bitte gib mir nur…. 1 Wort“ entscheiden, wäre es
LIEBE
Weil das Wort so unbeliebt geworden ist.
Warum eigentlich?

wo und worüber sie schreibt
WO: am meer, auf den bergen und in der großstadt
(dalmatien (HR), steiermark (AT), berlin (DE)
ÜBER: den „ganz normalen wahnsinn“

und welchen Einfluss das eine auf das andere hat
nichts existiert aus sich selbst heraus unabhängig und die verknüpfungen des
unendlichen knotens sind natürlich mannigfaltig.
es ist nicht an mir, den einfluss des einen auf das andere auszumachen und zu
definieren, aufzuschreiben und zu plakatieren als ein ICH=DAS gebendes verfahren einer mir selbst
(leider?) unmöglichen verortung.
das sollen andere machen. wenn sie wollen. liebe grüße, lilly

(c) Theater im Keller, Graz (AT) , ELEKTRA. Theaterstück.

Die Autorin, Film- und Performancekünstlerin zählt in der Steiermark zu den vielfältigsten künstlerischen Persönlichkeiten. Am 19.10. ist sie Teil des Panels „Poetrypolitics„, gemeinsam mit Jazra Khaleed (GR), Kyoko Kishida (GR) und Kai Pohl (DE). Wir freuen uns und sind gespannt!

Simone Kornappel

Abgesehen von meinem Schreibtisch, der mal mehr, mal weniger aufgeräumt daherkommt, mal mehr mal weniger mit Büchern beladen ist, einem Platz im Hof bei passablem Wetter, gibt es keine wirklichen Orte, die ich zum Schreiben brauche. Alles taugt, wenn der Modus stimmt. Der Rest konstruiert sich. Fiktive Orte, wie sie die Collagen vielleicht veranschaulichen, die aber brauche ich, die setze ich selbst zusammen. Hier gezeigte Collagen mit dem Titel: angewandte gorgonik, unknown bell, under the wave off und i would prefer not to.

Simone Kornappel ist Teil des Panels “Schreibpraxen und Präsentationsformen” am 20.10., gemeinsam mit Yiannis Baskozos (GR), Lily Michaelides (CY) und Andrea Schmidt (DE)



Nina Rapi

Nina Rapi on Race, Gender and Class.

She is part of the panel „Race-Gender-Class“ (19.10.), together with Gerasimos Bekas (GR/DE), Maria Topali (GR) and Achim Wieland (DE/CY)


RACE: My friend V.M.J. going to India and not being recognized/’seen‘, in certain circles, as the British African and well known writer that she is. As a result she was harassed for entering ‚privileged‘ spaces because she was taken for an untouchable.

Racism, negating/distorting reality to surreal levels, is so deeply rooted in the fear of the Other that we either don’t see them or we project on to them any darkness we might contain within and consequently reject them for that reason, fear of the unknown self basically. We therefore need to embrace the Other both within and outside us, from a very early age through education, art, politics. Racism is complex and operates on many levels. It is interesting that in Greek ‚racism‘ applies not only to race but any form of discrimination.

GENDER: Having a significant fight with my brother when I was a child. He was clearly in the wrong but my mother defended him with the excuse ‚he is only a boy‘. That left me with a deep sense of injustice that urged me to resist against prejudice and inequality from a very early age.

As an adult, I cannot separate gender from sexuality.

CLASS: One of my students telling me recently she never felt a sense of entitlement as a playwright because she thought the theatre was not for her, a working class woman from the provinces.

Theatre, both in the UK and in Greece, is indeed dominated by middle and upper class people who feel a natural sense of entitlement due to their privileged position and often exclude the Other without a second thought, almost automatically negating or devaluing them. It takes a very aware person to realize this process and change it. Or indeed continuous struggle from those who are negated or devalued. Thankfully, there are always allies.

Ultimately, race, gender and class have to do with conflicts of power positions and competing intersections of hierarchy in unexpected spaces, a concept and an aesthetic very close to the core of my work. In my writing the Other is always present as a Permanent Outsider, one who challenges our preconceptions and reminds us of who we are, one who perceives reality from multiple points of view, one who values her/his own centre but is also aware of the fluidity/interchangeability of power positions.