Kai Pohl

Kai Pohl über seine Methode beim Schreiben

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Viele meiner Montagen und Cut-ups sind geformt aus Material, das zu einem großen Anteil dem verbalen Reservoir des world wide web entnommen ist und mittels Schnitt, Neukonstruktion und Transformation gefügig gemacht wurde. Die Basis solchen „Schreibens“ ist kein „literarischer Wert“, sondern sprachlicher Abrieb als Ergebnis eines babylonischen Tastenschlages, der den Orkus des Hypertextes speist.

Verdichtung, nicht Dichtung, heißt die Methode; ein Versuch, den Zungenschlag der Zeit im Medium des Zeitgeistes zu treffen; ein Zungenkuß, der im semantischen Abraum wildert. Daraus entstehen dann zum Beispiel Zeilen wie diese:

„,Frühling, hörst du? / Das Getwitter der Vögel / swingt wie Gerste im Weizenfeld!‘ // Sei der erste, dem das gefällt, / gib deinen Kommentar ein und / verschwende deine besten Jahre / damit, Formulare auszufüllen, / um an Geld zu kommen.“

(aus dem Gedicht „Ein halbes Paar Socken“, erschienen im Band „Staatenlose Insekten“)

Dass ich Montagetechniken zur Textproduktion häufig nutze und zeitweise bevorzuge, folgt der Tatsache, dass es keine „eigenen Worte“ gibt. Auch konventionelle Gedichte gehen ja mit Anspielungen, Zitaten und Ideen um, die aus dem kulturellen Umfeld stammen. Und da niemand genau weiß, woher die Wörter kommen, ist es auch egal, woher man sie nimmt: aus dem Kopf, aus dem Wörterbuch, aus dem Radio, aus der Suchmaschine. Entscheidend ist, wozu man sie nimmt. Der Zweck heiligt die Wörter. Und da man sich mehr als genötigt sieht, zwischen großen Worten leben und sich einrichten zu müssen, bietet sich die Gelegenheit, aus eben diesen Worten die Energie zu beziehen, die nötig ist, um das leere aber mächtige Gerede auszuhalten und auszuschlachten für die Verabreichung einer gut abgeschmeckten Portion Poesie.

Kai Pohl ist Teil des Panels „Poetrypolitics“, 19.10., gemeinsam mit Lilly Jäckl (AT), Jazra Khaleed (GR) und Kyoko Kishida (GR). Wir freuen uns darauf!